Ihr Lieben, als ich in meiner kleinen Sinnkrise steckte, dachte ich: Ich brauch was für die Freude, was Sinnstiftendes und was, womit ich etwas verändern und mitwirken kann. Ich gründete in der Folge einen Chor, machte die Ausbildung zur Familientrauerbegleiterin und Notfallseelsorgerin und trat in eine Partei ein. Nun sind morgen in NRW Kommunalwahlen und mein erster Wahlkampf liegt hinter mir.
Mein erster Wahlkampf
Ich kann sagen: Es war ein wilder Ritt. Mit vielen Überraschungsmomenten, mit immer mal wieder Hinterfragen und aber mit der großen Überzeugung, dass es wichtig ist, dass auch Frauen im mittleren Alter gehört werden und mitentscheiden sollten. Für viele ist das nicht drin, weil sie noch mitten im Kinderwahnsinn stecken, bei mir ist in dieser Woche das erste ausgezogen, so eine junge Mutterschaft kann dann eben auch wieder für frühe Freiräume sorgen.
Ein Zuckerschlecken war dieser Ritt nicht immer, manchmal kochen die Emotionen hoch, wenn auch im 18. Flyer noch der Fehlerteufel wütet, mal möchte man samstagsmorgens auch einfach lieber mal liegen bleiben, als sich im Regen an einen Supermarkt zu stellen, um sich ehrenamtlich für das eigene Städtchen einzusetzen.

An anderen Tagen sind wir beflügelt, weil dann doch die Umfrageergebnisse besser sind als gedacht oder weil man mal wieder so viel Teamliebe erfahren hat. Ich hab euch aus meinem ersten Wahlkampf mal ein paar Punkte mitgebracht, die vielleicht kleine Einblicke in lokalpolitisches Engagement sein können.
Ich erwähne die Partei hier übrigens extra nicht, weil ich hier schlicht niemanden überzeugen oder beeinflussen möchte. Alle, die für Vielfalt und menschliche demokratische Werte stehen sollen sich hier wohlfühlen, all diese Kräfte sollten in Zeiten wie diesen zusammenhalten, damit nicht irgendwas Unflätiges und Verachtendes demnächst die Macht übernimmt. DAS wünsch ich mir für meine Kinder und gegebenenfalls Enkel. Hier also meine Learnings aus den letzten Wochen:
Es geht nur im Team
Du verbringst seeeehr viel Zeit mit den Leuten aus deiner Partei, da müssen die schon sehr nett sein, damit das auch Spaß macht und sie müssen schon auch motiviert sein und Bock haben, um so einen wilden Ritt zusammen zu meistern. Man sollte dringend zusammen lachen können und… gegenseitige Wertschätzung ist essentiell.
Wahlkampf macht einsam
In Zeiten von Wahlen hat man kaum Zeit für Familie und Freunde, ist immer auf Sendungsmodus, immer in der Erklärung, nie in der Schwäche. Man steht permanent unter Beobachtung, wird teils im Supermarkt beim verträumten Einkaufen von Menschen angesprochen. Dabei versucht man immer sympathisch zu bleiben, zuzuhören und Verständnis zu zeigen. Das fällt mir nicht schwer, zieht aber auf Dauer auch Akku.

Die Wut der BürgerInnen
„Wir wünschen Ihnen ein schönes Wochenende“, rufen wir dem Menschen hinterher, der gerade unseren Stand passiert und er raunt ein „Wir Ihnen nicht“ in unsere Richtung. Ich bin so etwas aus meinem eigentlichen Leben nicht gewöhnt, hier auf dem Land grüßen wir sogar Fremde auf der Straße. Das ist dann schon ein Pfund. Und das ist ja nur ein harmloser Vorfall gewesen.
Mit solchen Antworten müssen wir leben, wenn wir vor dem Supermarkt Luftballons oder Gummibärchen, ist unseren Flyern verteilen. Aber die Menschen scheinen dabei zu vergessen, dass wir das alle im Ehrenamt machen, um uns für eine bessere Zukunft einzusetzen. Leider ist es hierzulande gang und gäbe, politisch Engagierte für alles Unheil der Welt verantwortlich zu machen und bei ihnen Wut abzuladen.
Es kommt also auch zu unangenehmen bis bedrohlichen Situationen, einer sagt nicht Hallo, stellt sich vor unseren Stand, dreht uns den Rücken zu, wölbt den Stoff aus seinen Hosentaschen und lässt sich mit uns fotografieren. Einen Ort weiter vergießt eine Frau Buttersäure am Wahlkampfstand und die Fraktionsbüros werden angegriffen. Da wird einem dann schon mal anders.
Tür-zu-Tür-Flyer verteilen mit Tochter und Nichte
Wie schwer es Postboten haben, Briefkästen zu finden, das erfahre ich im Haus-zu-Haus-Wahlkampf, als ich meine Flyer verteile! DIe Kinder waren so lieb, noch kleine Gummibärchentüten dranzutackern, als Mini-Freude im Alltag. Und meine Tochter und meine Nichte begleiten mich dann auch bei einer großen Runde, bei der wir staunen, wir lang die Wege zwischen Nachbarn im Bergischen sein können und wie viele unterschiedliche Briefkasten-Designs es gibt! Hier übrigens: Nur freundliche Menschen, die mir viel Glück wünschen!
Nette Menschen

Manche bringen uns Süßigkeiten oder Kaffee an den Stand, eine sagt: „Ich wähl euch zwar nicht, aber ich find´s toll, dass ihr euch einsetzt für unseren Ort“. So süß. Beim Haus-zu-Haus-Wahlkampf bietet uns jemand erstmal ein paar Gläser Wasser an, weil es so heiß ist, das ist einfach rührend und toll.
Immer im Dienst
Da auch Plakate mit mir drauf im Ort hängen, werde ich überall drauf angesprochen, abends auf Festen, mittags im Supermarkt, dauernd geht es um Politik obwohl man vielleicht nach einem langen Tag auch mal über Anderes sprechen mag. Das merk ich mir fürs nächste Mal, dass man sich da auch durchaus mal abgrenzen und um Themenwechsel bitten darf 😉
Miteinander nicht gegeneinander
Beim Stadtfest standen wir mit allen Parteien, die demokratische Grundwerte achten, zusammen unter einem Dach, um Geschlossenheit zu zeigen. Mit meinem Chor trete ich bei einem Fest einer anderen Partei auf und duze seitdem einige von ihnen. Unser Motto ist nicht: Die anderen machen alles falsch, sondern: Hauptsache, wir driften nicht in eine Richtung ab, die wir für unsere Kinder nicht haben wollen, bitte mit Respekt und nie demokratiefeindlich. Danke für so viel Fairness in diesem Wahlkampf!

Es geht immer noch mehr
Hier auf dem Stadtfest blicken lassen, mit den Menschen an Haustüren reden, hier noch ein Video mit dem Bürgermeisterkandidaten drehen, dort noch ein Anschreiben an die Erstwählenden aufsetzen, da noch einen Wahlstand aufbauen… man muss schauen, dass man seine Grenzen gut wahrt, denn natürlich geht immer noch mehr. es darf aber auch Pausen geben, wir sind ja auch nur Menschen.
Einfach mal ausprobieren
Manchmal fragt man sich schon, warum man sich all das antut, andererseits finde ich: Wir brauchen viel mehr Mütter in der Politik, die wissen, was (Un)Vereinbarkeit bedeutet, die wissen, was auch Frauen in der Mitte des Lebens brauchen und dann denk ich mir: Wenigstens mal ausprobieren. Vielleicht wird’s nur eine Amtszeit, vielleicht aber auch mehr, ohne zu wissen, wie es wirklich ist, an Entscheidungen beteiligt zu sein, kann ich ja gar nicht sagen, ob das was für mich ist oder nicht. Also los und einfach mal wagen.
Ich werde euch bestimmt hier und da nochmal mitnehmen in diesen wilden Ritt. Jetzt heißt es aber erstmal: Däumchen drücken dafür, dass die Ergebnisse dann auch so sind, dass wir überhaupt ein bisschen mitentscheiden dürfen. Ihr geht ja wählen, ne? Jede Stimme zählt! Und Politik heißt immer auch: Kompromisse finden. Es gibt für viele viele nicht DIE Partei, mit der man 100 Prozent übereinstimmt. Also wählt einfach die, bei der sich euch am wenigsten Widerstand regt.
Ich zähl auf euch und wünsche allen einen tollen Wahlsonntag. Ich persönlich hab schon per Brief gewählt und werde nach einem Ausritt hoffentlich entspannt zur gemeinsamen Wahlparty schreiten, um dort gemeinsam um 18 Uhr die Hochrechnung mitzuerleben…
3 comments
Hallo Lisa,
danke an dich und alle, die sich in der Politik auf allen Ebenen für eine menschenfreundliche Demokratie einsetzen, besonders Danke für euer Ehrenamt!
Viel Erfolg wünsche ich euch, gute Nerven und ein gutes Miteinander!
Liebe Lisa, viel Erfolg!!!! Ich würde dich wählen. Bei uns in einem kleinen Dorf sind waren bei der letzten Kommunalwahl kaum Frauen oder Mütter auf den Listen.
Fantastisch! Vielen Dank für diesen wichtigen Artikel und dein Engagement. Das ‚mehr geht immer‘ Gefühl kommt mir bekannt vor, aber mit Familie geht eben nicht immer alles…und wie du schreibst, gerade deswegen ist es so wichtig. Und wenn man dann mal ein Mandat hat bedeutet das auch viele Stunden ehrenamtliche Arbeit. Ich denke auch, dass das vielen Menschen nicht bewusst ist, viele denken offenbar, Kommunalpolitik sei ein Beruf. Ich habe in diesem Wahlkampf zum Glück ganz viele positive Erlebnisse gehabt, die mir auch Hoffnung geben. Ich drücke dir die Daumen, auch wenn ich mich für eine andere Partei einsetze 😉