Ihr Lieben, neulich lag ein Buch bei uns auf dem Essenstisch, das von den Herausforderungen der Mutterschaft handelt. Im Klappentext schrieb die Autorin, dass das schlechte Gewissen ihr alltäglicher Begleiter ist, seit sie Kinder hat. Meine Große (14) las sich das durch und fragte dann mit ehrlichem Erstaunen: „Schlechtes Gewissen? Hast du auch manchmal ein schlechtes Gewissen?“ Ihr Erstaunen war so groß, sie konnte sich wirklich nicht vorstellen, dass ich ein schlechtes Gewissen habe, das mit meiner Mutterschaft zusammen hängt.
Was ich hätte antworten können: „Ja, es gab und gibt immer wieder Phasen in meinem Leben, in denen ich ständig ein schlechtes Gewissen hatte und habe. Als ich meine Tage damals nur rennend zwischen Kita und Festanstellung verbracht habe. Als du oft die Letzte in der Betreuung warst und ich viel zu müde zum Spielen und Quatsch machen. Als ich meinen Job geschmissen habe, ohne Alternative, als ich dachte, ich wäre finanziell abhängig von deinem Vater, wie kann man schließlich nur so unempanzipiert sein. Als ich die ersten Male ohne Kinder verreist bin und mich jemand fragte, wo die armen Kinder sind.
Als ich mich in Nächten, in denen ich mit dem schreienden Baby auf dem Arm durch die Wohnung gelaufen bin und mich gefragt habe, ob wir nicht glücklicher ohne Kinder gewesen wären. Wenn ich Lisa morgens eine SMS geschrieben habe, dass ich schon wieder nicht arbeiten kann, weil ein Kind krank ist. Wenn ich in fünf Sekunden eine halbe Tafel Schokolade inhaliert habe, aber drei Wochen nicht joggen war. Wenn ich Freunde zu lange nicht angerufen habe oder nicht ans Telefon bin, wenn sie mich angerufen haben.
Tausend Mal schlechtes Gewissen
Wenn ich manchmal alle zwei Minuten auf die Uhr schaue, wann es endlich abends ist und alle Kinder schlafen. Als ich gespürt habe, dass ich gar nicht allen vier Kindern immer gleich gerecht werden kann. Als ich den Jüngsten weinend in der Kita gelassen habe. Als dein Bruder neulich plötzlich so schnell auf dem Laufrad war und ich irgendwie „gepennt“ habe – und schon war er auf der Hauptstrasse, das nächste Auto war nicht mehr weit.
Weil ich manchmal keine Idee habe, wie es beruflich weitergeht und alle an mir vorbei zu ziehen scheinen. Wenn ich ausgeflippt bin, obwohl ich weiß, dass Rumschreien nichts bringt. Wenn ich die Glotze länger laufen lasse, es wieder nur Nudeln mit Butter gibt. Wenn ich manchmal das Gefühl habe, dass ich alt bin, weil ich manche Sachen nicht mehr checke.
Wenn ich schlecht über meinen Körper denke, obwohl ich doch weiß, dass alles an mir total okay ist. Oder neulich, als ich diesen teuren Pullover gekauft habe, den ich gar nicht brauche. Wenn ich abends im Bett liege und feststellen muss, dass die nasse Wäsche noch in der Waschmaschine liegt. Wenn ich beruflich etwas absage, weil ich Schiss habe aus meiner Komfortzone raus zugehen.“
All das hätte ich sagen können, aber ich habs nicht getan. Ich hab gesagt: „Ja, es gab und gibt immer wieder Phasen in meinem Leben, in denen ich ständig ein Gewissen hatte und habe. Weil ich dachte, ich mache Sachen nicht gut genug. Aber du weißt ja, man kann nicht immer alles gut machen, das ist normal und deshalb muss man kein schlechtes Gewissen haben – so ist das Leben eben.“
Meine Tochter sah mich an und sagte: „Also wegen uns brauchst du echt kein schlechtes Gewissen haben. Du bist ne super Mutter.“ Dann schnappte sie sich ihren Rucksack, drückte mir ein Bussi auf die Wange und verschwand in ihrem Zimmer. Und da dämmerte es mir wieder: Die allerallerallermeisten Dinge, über die wir uns einen Kopf machen, die wir uns selbst vorwerfen, sind einfach nutzlos – manchmal auch schlicht unwahr. Wir geben unser Bestes, manchmal klappt es gut, manchmal nicht so gut– aber unsere Kinder spüren, dass wir sie lieben. Und genau darum geht es. Nicht ums perfekt sein, nicht ums erfolgreich, schlank, schön, unfehlbar sein. Es geht nur um die Liebe, denn die übersteigt alles.
2 comments
Katharina, dieser Beitrag von dir ist sooo toll geschrieben! Also inhaltlich und stilistisch so wunderbar stimmig und berührend. Ich hatte Tränen in den Augen beim Lesen.
Der Artikel ist so toll anschaulich geschrieben. Nimmt einen echt voll mit auf die Reise all Deiner Erlebnisse und Situationen, in denen ich mich gut wiederfinden kann. Und dann so ein versöhnliches Ende. Hat mich gerührt und zum lächeln gebracht. Dankeschön!