Ihr Lieben, spätestens auf dem Schulhof kommen die Kinder mit Begriffen in Berührung, die wir Eltern eigentlich gar nicht so gerne hören wollen: Hurensohn, ficken, Porno. Wie reagiere ich also, wenn mein Kind solche Worte sagt? Genau das haben wir Dianne gefragt, die das Buch „Hilfe, mein Kind hat ficken gesagt“ geschrieben hat. Dianne ist Sexualpädagogin und Content Creatorin (@fragdianne). Als Grundschullehrerin und Gesundheitspsychologin spezialisierte sie sich 2021 auf die Sexualpädagogik und bringt neben ihrem Fachwissen als Mutter von fünf Kindern wertvolle Erfahrungen mit.
Liebe Dianne, dann fragen wir mal direkt. Wie reagiere ich, wenn mein Kind „ficken“ gesagt hat?
Erstmal: tief durchatmen. Ruhe bewahren, nicht schimpfen. Frag nach: „Weißt du, was das bedeutet?“ oder „Wo hast du das gehört?“ – so kannst du herausfinden, was dahintersteckt, ob es reine Provokation ist oder echte Neugier und dann hast du die Chance, altersgerecht zu erklären, in welchem Kontext das Wort benutzt wird. Ziel ist es nicht, das Wort zu verbieten, sondern deinem Kind einen sicheren Rahmen zu geben, in dem es Sprache ausprobieren und gleichzeitig lernen darf, was sie bedeutet.
Viele Eltern haben Angst, zu früh mit ihrem Kind über Sexualität zu sprechen und damit Interesse für etwas zu wecken, was erst später interessant sein sollte. Wie siehst du das?
Das ist nicht nur ein Mythos, sondern auch wissenschaftlich widerlegt. Aufklärung führt nachweislich zu besserer Selbstbestimmung und einer respektvollen Haltung. Jugendliche, die früh und altersgerecht aufgeklärt wurden, verhüten später verantwortungsvoller, haben ein klares Bild von ihren Bedürfnissen und Grenzen und trauen sich auch eher, diese zu kommunizieren. Genau deshalb ist Aufklärung kein Risiko, sondern das wirksamste Mittel zur Prävention – auch vor sexueller Gewalt.
Studien zeigen, dass Kinder immer früher mit Pornografie in Berührung kommen. Was rätst du Eltern hier? Wie reagiere ich, wenn ich mein Kind damit erwische?
Dass Kinder früher oder später mit Pornografie in Berührung kommen, ist heute fast unvermeidlich. Wichtig ist: Nicht in Panik geraten. Frag nach: Wie ging es dir dabei? Was hast du verstanden, was nicht? – So kannst du erklären, dass Pornos eine Show sind, keine Anleitung für echte Nähe. Und du gibst deinem Kind das Gefühl, dass es mit allem zu dir kommen kann, anstatt das Thema mit Scham zu belegen. Genau das ist der Schutz: Nicht Kontrolle, sondern Vertrauen.
Hast du das Gefühl, dass Jugendliche gut aufgeklärt sind? Schließlich haben sie ja viel mehr Zugang zu Informationen als wir früher…
Nein. Jugendliche sind nicht automatisch gut aufgeklärt, nur weil sie heute mehr Zugang zu Infos haben als wir früher. Im Gegenteil: Neben hilfreichen Infos, sind sie auch einer Flut an Fehlinformationen und Pornografie ausgeliefert. Und das ist eine Mischung, die ohne Begleitung schnell überfordert. Sie brauchen uns Erwachsene, die ihnen Orientierung geben, ihre Fragen ernst nehmen und ihnen einordnen helfen, was sie sehen oder hören.
Haben Kinder, in denen es zu Hause unverkrampft zu ging – also zb. Mama und Papa nackt in der Wohnung rumliefen – ein entspannteres Verhältnis zu ihren Körpern oder zur Sexualität?
Nicht automatisch. Nur weil Eltern nackt durchs Haus laufen, heißt das noch nicht, dass Kinder ein entspanntes Verhältnis zu ihrem Körper entwickeln. Entscheidend ist nicht die Nacktheit an sich, sondern die Haltung dahinter.
Das heißt, dass neben Offenheit, auch Sprache und respektvolle Grenzen genauso wichtig sind. Wann ist Nacktheit normal und wann gehört Kleidung dazu? Was ist privat und teilt man nicht mit allen?
Es ist also die Kombination aus liebevoller Haltung, Sprache und klaren Regeln. Dann wachsten Kinder tatsächlich mit mehr Vertrauen und Entspannung in Bezug auf Körper und Sexualität auf.
Wie sieht deiner Meinung nach der ideale Sexualkundeunterricht an Schulen aus?
Ich halte nichts davon, Sexualkunde strikt auf eine Klassenstufe zu reduzieren. Es sollte ab der Einschulung ein lebensbegleitendes Fach sein. Am Anfang geht es um richtige Körperbegriffe, Gefühle und Grenzen. Später kommen Fachbegriffe und komplexere Themen wie Pubertät, digitale Medien, Pornografie, Lust und sexuelle Orientierung dazu.
Und weil Sexualkunde genauso alltäglich ist wie Mathe, Deutsch oder Sport, stellt sich für mich gar nicht die Frage, ob es Sonderlösungen wie getrennte Klassen oder externe Lehrkräfte braucht. Es gehört einfach selbstverständlich dazu. Natürlich kann es in bestimmten Situationen sinnvoll sein, geschützte Räume anzubieten, doch im Kern ist Sexualbildung Teil des Schulalltags, kein Ausnahmefach. Das heißt auch, dass diejenigen, die es unterrichten ausgebildete Sexualpädagog:innen sind, genauso selbstverständlich, wie eine Mathelehrerin Mathematik studiert hat.
Gibt es irgendwas, was dir bei dem ganzen Thema total wichtig ist, was aber viel zu wenig thematisiert wird?
Ja, ich finde, dass ganz oft der Schritt der Aufarbeitung vergessen und irgendwie auch tabuisiert wird. Wir alle haben unsere ganz eigene Geschichte, was Scham, Sprachlosigkeit und Tabus angeht. Wenn wir das nicht anschauen, geben wir es an unsere Kinder weiter. Deshalb finde ich es im ersten Schritt wichtig: Enttabuisierung beginnt bei uns. Wir müssen zu allererst herausfinden, welche Haltung wir selbst zu bestimmten Themen haben und können wir selbst offen darüber sprechen, bevor wir es von unseren Kindern erwarten. Erst wenn wir Worte finden, können auch sie welche haben.


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Mich würde mal interessieren, ob im Sexualkundeunterricht heutzutage eigentlich über den (ersten) Orgasmus beim weiblichen Geschlecht aufgeklärt wird? Bei mir hieß es früher immer „Jungs bekommen den 1. Samenerguss, Mädchen ihre Periode“. Was für ein bescheuerter Vergleich, wenn man mal darüber nachdenkt! Als ich dann mit 14 meinen 1. Orgasmus im Halbschlaf hatte, wusste ich absolut nicht was da gerade mit mir geschah. Und ich war wirklich sehr gut aufgeklärt. Im Nachhinein finde ich das unfassbar, dass das Thema einfach überall totgeschwiegen wurde. Ich hoffe sehr, dass das heute im Sexualkunde Unterricht anders ist. Weiß dazu vielleicht jemand mehr?