2,5 Jahre nach dem Spätabbruch: Unsere Tochter fehlt und bleibt

Spätabbruch

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Ihr Lieben, der Spätabbruch ihrer Tochter Loreley ist nun fast zweieinhalb Jahre her, aber noch immer ist sie Teil der Familie. Hier erzählt unsere Leserin von der Diagnose, vom Abschied, der Trauer, dem Regenbogenbaby Noah und vom zweiten Leben nach dem ersten.

Zwei Jahre ohne Loreley

Am 17.03.2023 habe ich habe ich meine Tochter Loreley still zur Welt gebracht – eine Entscheidung, die ich bewusst getroffen habe. In der 22. Schwangerschaftswoche, am 01.03.2023, erhielt ich die Diagnose: Loreley hat Spina bifida.

17 Tage hing ich „zwischen den Welten“. Mein Körper fühlte sich weiter schwanger an, aber mein Kopf wusste: Nichts war mehr normal – und würde es nie wieder sein. Ihr letztes Ultraschallbild hängt bei uns am Kühlschrank – zwischen Einkaufszetteln und Kinderzeichnungen.

Daneben hängt ein Bild von ihren zwei großen Schwestern und ihrem kleinen Bruder Noah – unserem Regenbogenbaby.

Ich schreibe diesen Beitrag an Loreleys Geburtstag. Es gibt keine Party, keine Luftballons, keinen Kinderbesuch. Stattdessen haben unsere großen Mädchen überlegt, welchen Kuchen sich Loreley gewünscht hätte. Eine Kerze brennt in einem sternenförmigen Kerzenständer. Sie ist weiß, verziert mit einem Herz und der Aufschrift „Die Liebe bleibt“.

Draußen, vor meinem Küchenfenster, blühen drei Hyazinthen – gepflanzt einen Tag nach Loreleys Geburt. An dem Tag gab es nur ein Ziel für mich: aus dem Bett aufstehen, damit meine Depression es richtig schwer hatte. Loreley fehlt. Jeden Tag.

Nach dem Spätabbruch: Loreley ist immer da

Doch Loreley ist auch da. Anders, als ich es mir gewünscht hätte. Aber ich sehe sie in jeder Feder, in jedem Schmetterling. Spüre sie im Wind, wenn er mir durchs Haar streicht und freue mich, dass ihre Energie da ist. Sie gibt mir Lebensenergie.

Man sagt: Wir alle haben zwei Leben. Das zweite beginnt, wenn wir erkennen, dass es nur eins gibt. Ihr stiller Geburtstag fühlt sich an wie meine eigene Wiedergeburt. Seit ihrer Geburt lebe ich mein Leben bewusster, intensiver und mutiger.

spinabifida

Unmittelbar nach ihrer Geburt konnte ich nicht an einer Trauergruppe teilnehmen. Um einen Zugang zu meiner Trauer zu finden, habe ich das Buch „Schwere Entscheidungen leicht treffen: Schwangerschaftsabbruch oder Schwangerschaft auftragen?“ geschrieben. Ich schrieb 17 Tage lang. Genau so lange, wie ich zwischen Diagnose und Geburt „zwischen den Welten“ festhing.

Ich schrieb über die Entscheidungsfindung. Als Offizierin wurde ich darauf trainiert, in schweren Situationen schnelle Entscheidungen zu treffen. Während des Schreibens erkannte ich: Es waren zwei Trauerprozesse, nicht einer. Ich betrauerte zunächst den Verlust meiner glücklichen Schwangerschaft und schließlich den Verlust von Loreley. Loreleys Beisetzung fiel auf ihren errechneten Geburtstermin. Ironie des Schicksals.

Wir hielten an unserem Kinderwunsch fest – trotz aller Angst und Traurigkeit. Aufgeben ist nicht mein Stil. Ich wünschte mir, dass sie uns eine neue Seele senden würde und habe die Trauerarbeit zu meiner „Priorität Nr. 1“ gemacht. Ich trauerte tief und intensiv. Auf unterschiedliche Art und habe zugelassen, dass sie mich verändert. In meinem Trauerjahr schrieb ich ein weiteres Buch: Priorität Nr. 1 nach der stillen Geburt, Trauerarbeit um dein Sternenkind.

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Ein halbes Jahr nach Loreleys Geburt war ich wieder schwanger. Ich ließ mich auf diese Schwangerschaft ein – jeden Tag voller Bewusstsein und sah meinen Ängsten jeden Tag aufs Neue ins Gesicht. Als eine mögliche Trisomie im Raum stand, begann das härteste Mentaltraining meines Lebens. Doch Loreley war da und ließ mich „froher Hoffnung“ bleiben. Nach einer Fruchtwasseruntersuchung stellte sich heraus, dass unser Baby keine Trisomie hat, sondern kerngesund ist.

Loreley bekommt zum Geburtstag keine Feier. Ich backe ihr zusammen mit Noah einen Schokokuchen. Sie hat ihren Platz in unserer Familie. Ich gedenke ihr auf unsere Weise. Manchmal mit einer Kerze. Manchmal mit einem Gedanken. Manchmal mit einer Entscheidung, die ich treffe, weil ich heute mutiger bin als früher. Sie fehlt. Und sie bleibt.

Diese zwei Jahre haben mich verändert. Ich lebe. Für sie. Ich weiß heute, was ich will. Ich weiß, was wirklich zählt. Und ich weiß, dass Leben und Tod manchmal näher beieinander liegen, als wir glauben. Und dafür bin ich ihr dankbar.



1 comment

  1. Es gibt Situationen im Leben, die man tatsächlich nur nachvollziehen kann, wenn man selbst betroffen war. Ich finde Kommentare bzgl. der Entscheidung und vor allem die Aussage, inwieweit jemand trauern darf, der diese Entscheidung aktiv getroffen hat, extrem übergriffig. Solche „Entscheidungen“ bedeuten für werdende Eltern eine absolute Schocksituation und sind extrem komplex.